Grenzbegehung 2015
Von Thorsten Stötzer
HETTENHAIN – Hätte die Geschichte im Jahr 1712 einen anderen Lauf genommen, wäre heute wahrscheinlich „Bad Hettenhain“ weithin bekannt. Langenschwalbach hingegen besäße noch seinen alten Namen und fristete ein Schattendasein. Das folgert Ernst Jude daraus, dass vor 303 Jahren das Gerstruth-Tal mit seinen Quellen und Moorvorkommen offiziell von Hettenhain abgetrennt und Schwalbach zugesprochen wurde. Die 27. Grenzbegehung der Hettenhainer Feuerwehr bot einen willkommenen Anlass, um sich mit der Lokalgeschichte zu befassen.
Die Grenzstreitigkeiten seien ein „ewiges Ärgernis“ gewesen, so Jude, heute nehme man sie mit Gelassenheit und Humor. 1619 und 1658 unternahmen die Schwalbacher übrigens zu ihrem Vorteil alleine Grenzgänge, diesmal sind die Hettenhainer unterwegs mit großem Aufgebot. 57 Wanderer bewältigten – geführt von Uli Hofmann – die acht Kilometer lange Strecke. Über den Roten Stein ging es durch die Muhlmach ins Aartal, zum Alten Damm und zurück ins Gerätehaus, wo Eintopf mit Wursteinlage wartete.
Einwohner „in der Kreide“
Die Beteiligung war groß und nahe am Rekord von gut 70 Interessierten. Förderlich dürften der Sonnenschein und der Umstand gewesen sein, dass der Tag nach Weihnachten diesmal auf einen Sonntag fiel. Ernst Jude hatte erneut einige Kapitel aus der Ortsgeschichte aufbereitet, besonders befasste er sich mit den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg. Damals war Hettenhain zweigeteilt, die Fürsten von Nassau und Hessen-Rheinfels besaßen Rechte am Dorf. Groß war die Armut noch 1667, als die Obrigkeit nur noch wenige Untertanen zählte, die jedoch die im Krieg aufgelaufenen Steuern begleichen sollten.
Die Einwohner standen buchstäblich „in der Kreide“, es folgten zahllose Prozesse. Geld war knapp und manch andere Pflichten belasteten die Bauern: Sie mussten etwa im Winter Spanndienste leisten und Heu oder Holz transportieren für die Fürsten. Dazu brach 1660 die Pest in Hettenhain aus. Die Zahl der Opfer sei nicht bekannt, erklärte Ernst Jude am Roten Stein, die Toten wurden in Bärstadt bestattet. „Es war keine ruhmreiche Zeit“, bedauerte er, denn bei der Suche nach Schuldigen für die Pest kamen Hexen-Prozesse auf und Juden gerieten in Verdacht.
Die Hettenhainer Zoll-Station an der Lauberstegmühle erscheint heute nur noch wie ein Kuriosum. Die seinerzeitigen, drückenden Abgaben erinnern inzwischen vor allem an die frühere deutsche Kleinstaaterei.
Der Lokalpatriotismus lebt dennoch fort. „Die Schwalbacher sind rücksichtslos in unser Gebiet eingedrungen“, schilderte Jude beispielsweise einen Vorfall von 1672. Das provozierte auch im Jahr 2015 irgendwie noch Unmut. Man solle weiter rechts, im Gerstruth-Tal, und nicht entlang der Rheinstraße weitermarschieren, schlug ein Teilnehmer vor, damit die historische und nicht die aktuelle Gemarkungsgrenze ordnungsgemäß abgeschritten werde.